Islamexperte: Muslimische Theologie muss Gewaltfrage diskutieren
KNA 09.02.2015
Berlin (KNA) Der Bayreuther Islamwissenschaftler Rüdiger Seesemann appelliert an muslimische Theologen, sich stärker mit der Frage der Gewalt im Islam auseinanderzusetzen. "Es ist ungerecht, die Muslime als Gruppe für die Verbrechen der Extremisten in Sippenhaft zu nehmen", schreibt der Heisenberg-Professor in der "Welt am Sonntag". "Aber sie würden in ihrem eigenen Interesse handeln, wenn sie sich mit der Vereinnahmung des Islam durch radikale Verführer inhaltlich auseinandersetzten und sich stärker dagegen wehrten."
Seesemann betont, dass die gegenwärtigen Terroristen in Widerspruch zu den wichtigsten Rechtstraditionen des Islam handelten. Nach jahrhundertealter Auslegung des Koran sei jeglicher Kampf im Namen des Islam an einen islamischen Staat und die Befehlsgewalt des jeweiligen Herrschers gebunden, die er in Abstimmung mit den religiösen Gelehrten ausübte. "Es gab gewissermaßen ein Gewaltmonopol, das der Herrscher im Einklang mit der Scharia ausüben sollte."
Die heutigen Dschihadisten beanspruchten demgegenüber, den Koran selber interpretieren zu können - ohne tiefere Kenntniss der theologischen Traditionen und der Theologie, so der Islamwissenschaftler. Der Vorrang der Gelehrten werde ersetzt durch "den direkten Zugriff auf Gottes- und Prophetenwort".
Der Islamwissenschaftler verwies darauf, dass die meisten Dschihadisten keine traditionelle religiöse Erziehung in Elternhaus, Koranschule oder Moschee durchlaufen hätten. Sie würden auch nicht in den Moscheen, sondern durch das Internet rekrutiert. "Der gegenwärtige Dschihad-Kult trägt Züge einer Jugend(un)kultur, die vor allem für ausgegrenzte junge Menschen attraktiv ist."
(KNA - pkmks-89-00032)
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