Islamwissenschaftler fordert kritische Lektüre des Koran
KNA 19.01.2015
München (KNA) Eine historisch-kritische Lektüre des Koran fordert der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Nur so lasse sich das Problem des Terrors im Namen der Religion an der Wurzel angehen, schreibt der Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Freiburg in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" (Montag).
"Den Islamisten dienen als Handlungsanweisungen doch einige medinensische Koranpassagen und das Handeln des Propheten selbst, somit kanonische Quellen der islamischen Rechts- und Religionslehre", so Ourghi. Einen Schnitt setzt der aus Algerien stammende Wissenschaftler im Jahre 624 an. Bis dahin habe Mohammed, der zwei Jahre zuvor von Mekka nach Medina auswanderte, eine "dialogische Verständigung" mit den arabischen Heiden sowie den Juden und Christen gesucht. Nach und nach hätten dann jedoch politische Ziele die Verkündigung der göttlichen Botschaft verdrängt.
"624 begann in Medina eine neue Ära - eine Ära der Gewaltmaßnahmen -, in welcher der Prophet die Macht des Wortes und die Gewalt des Schwertes vereinte", führt Ourghi aus. Grausamer Höhepunkt sei das in Sure 33 erwähnte Massaker an dem heidnischen Stamm der BanuQurayza vom April 627 gewesen. Die Angehörigen des Stammes seien der arabischen Geschichtsschreibung zufolge 25 Nächte lang belagert worden. "Nur denen, die konvertierten, wurde das Leben geschenkt. 600 Männer wurden schließlich exekutiert, ihr Besitz unter den Muslimen verteilt, Kinder und Frauen als Sklaven verkauft."
Bis auf den heutigen Tag würden diese historischen Zusammenhänge verdrängt, kritisiert Ourghi. Wer eine andere Meinung vertrete, werde im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht, so wie der sudanesische Mystiker Mahmud Taha. In seinem Werk "Die zweite Botschaft des Islam" hatte Taha nur den in Mekka zwischen 610 und 622 offenbarten Teil des Koran als zeitlos eingeordnet, weil dieser universal sinnstiftende Lehren im ethischen Sinne beinhalte. Die von Mohammed in Medina verkündeten Koranstellen seien hingegen nur von ihrem damaligen Kontext her zu verstehen.
Taha wurde 1985 im Alter von 75 Jahren vor Tausenden Zuschauern wegen "Apostasie" öffentlich hingerichtet. "Die Empörung darüber war in der westlichen Welt einvernehmlich", schreibt Ourghi. Muslimische Gelehrte hätten dagegen die Machthaber im Sudan zur Exekution des "Ketzers" und "Gottesfeindes" beglückwünscht. "In einem modernen Islam wird nicht die Gewalt eines Gottes gesucht, sondern ein Gott, der die Unantastbarkeit der Menschenwürde zu garantieren vermag", fasst der Experte zusammen. "Diese unabdingbare Voraussetzung kann der Islam nur erfüllen, wenn er jeder Art von Gewalt entsagt und seine humanistische Kraft durch eine zeitgenössische Reformlektüre jenseits politischer Interessen erneuert."
(KNA - pkllt-89-00036)
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