Iranischer Erzbischof der Chaldäer zur Lage der Kirche in Nahost
KNA 02.02.2015
Von Claudia Zeisel (KNA)
Essen (KNA) Der chaldäische Erzbischof von Teheran, Ramzi Garmou, beobachtet die Lage der Christen im Nahen Osten mit wachsender Sorge. Zwar sieht der gebürtige Iraker die iranische Kirche nicht mit einer Verfolgung durch islamistische Terroristen konfrontiert. Dennoch hält er die Kirchen in der Region für bedroht. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Garmou, der am Donnerstag (5. Februar) 70 Jahre alt wird, über die Religionsfreiheit im Iran, über die US-Außenpolitik und die Herausforderungen für die Kirche angesichts von Christenverfolgungen in der Region.
KNA: Herr Erzbischof, die iranische Regierung mit Präsident Hassan Rohani gilt als gemäßigter als die seines Vorgängers. Wie zeigt sich das am Umgang mit Religionsfreiheit?
Garmou: Am 1. Januar hat der Präsident ein Altenheim der chaldäisch-katholischen Kirche besucht. Damit hat er seinen Respekt für unsere Kirche und die christliche Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht. In seiner Ansprache betonte er, dass die Christen zum iranischen Volk dazugehörten und das Recht hätten, ein Leben wie alle Iraner zu führen. Rohani ist ein moderater Mann, ein Mann des Dialogs. Mit einigen politisch Verantwortlichen hat die chaldäisch-katholische Kirche also ein sehr gutes Verhältnis. Wir hoffen, dass sich die Beziehungen zur iranischen Politik weiter vertiefen.
KNA: Die jungen Iraner haben besonders unter der Wirtschaftskrise im Land zu leiden; viele sind arbeitslos. Welche Antworten kann die Kirche ihnen geben?
Garmou: Wegen der Sanktionen des Westens wächst die Arbeitslosigkeit, und nun ist auch der Preis für Öl, die wichtigste Einnahmequelle des Iran, gefallen. Die Regierung tut ihr Mögliches, um der Wirtschaftskrise zu begegnen, aber es ist nicht einfach. Die westliche Politik duldet einfach keinen Fortschritt im Nahen Osten. Ich erinnere nur daran, dass die USA 2003 ohne die Zustimmung internationaler Institutionen in den Irak einmarschiert sind. Sie haben ein Land zerstört, um ihre Interes-sen zu verfolgen. Und heute ist es in den Händen des IS.
KNA: Immerhin haben die USA nun gemeinsam mit anderen westlichen Ländern eine Militäroffensive gegen den IS gestartet.
Garmou: Als Saddam Hussein Kuwait mit einer der stärksten Armeen der Region besetzte, haben ihn die Amerikaner in wenigen Tagen hinausgejagt. 2003 fiel Bagdad in nur wenigen Tagen in die Hände der Amerikaner. Und nun sollen sie nicht in der Lage sein, ein paar tausend Dschihadisten zu verjagen? Das ist doch eine Lüge. Die US-Außenpolitik fördert doch den Terrorismus.
KNA: Was denken Sie über deutsche Waffenlieferungen an kurdische Kämpfer im Irak?
Garmou: Die Krise im Nahen Osten kann nicht mit Krieg und Waffen gelöst werden. Vielmehr müsste die Politik geändert werden. Wir brauchen eine Politik auf Grundlage der Menschenrechte; eine, die die Interessen anderer Völker respektiert. Wir dürfen nicht egoistisch sein und nur an unsere ei-genen Interessen denken. Ändert eure Herzen!
KNA: Die Kirche des Ostens hat in ihrer Geschichte bereits häufig Verfolgung und Gewalt erlebt. Obwohl heute wieder islamistische Terroristen Christen vertreiben und töten, rufen christliche Geistliche der Region sie auf zu bleiben. Wie sehen Sie das?
Garmou: Zunächst muss man sich nicht wundern, dass Christen heute aufgrund ihres Glaubens an Jesus Christus verfolgt werden. Im Evangelium sagt unser Herr Jesus Christus ganz klar: Eines Tages werdet ihr wegen mir verfolgt, gefoltert und getötet werden. Der Herr ist am Kreuz gestorben - er hat den Tod in Kauf genommen. Als Christen und Jünger Jesu Christi müssen wir ihm auf diesem Weg folgen.
Die Dramen, die die Christen des Orients in Syrien, Irak oder Palästina erleben, müssen wir aus dem Glauben heraus betrachten. Unser Patriarch Raphael Louis Sako wünscht sich von Herzen, dass die Christen trotz der Krise und des Leids in dieser Region weiterleben können. Aber er sagt auch: Man kann niemanden zwingen zu bleiben. Nur haben wir eine Mission zu erfüllen: Wir müssen in dieser Region das Zeugnis Jesu Christi ablegen. Das ist der Wunsch unseres Herrn.
KNA: Die Kirche des Ostens war bis zum 14. Jahrhundert mit rund 200 Bistümern die erfolgreichste Missionskirche überhaupt. Wie steht es heute um ihre missionarische Kraft?
Garmou: Die Kraft der Mission liegt nicht bei uns. Es ist der Heilige Geist, der Zeugen und Heilige hervorbringt. Man muss auf den Geist vertrauen, der die Kirche insbesondere in Zeiten der Verfolgung und des Todes begleitet. Der Heilige Geist gibt den Christen Mut und Kraft, in dieser Krise zu leben und die Hoffnung, die Herzen der Verfolger zu ändern.
KNA: Wie aber können Kirchenvertreter den Gläubigen Hoffnung schenken?
Garmou: Die Kirche - in Gestalt ihrer Patriarchen, Pfarrer und Priester - ist aufgerufen, die Christen zu ermutigen, standhaft zu bleiben und das Zeugnis fortzusetzen. Sie sind die ersten, die Zeugnis ablegen müssen. Unser Patriarch hat viel getan, damit die Christen der Region nicht ihre Hoffnung verlieren. An Weihnachten hat er beispielsweise in Erbil in einem Flüchtlingszelt eine Messe gefeiert. Die Pfarrer müssen mit gutem Beispiel vorangehen und sich gegen alle Versuchung und Verfolgung stellen.
KNA: Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul, Emil Shimoun Nona, hat kürzlich seinen Posten geräumt und ist ins australische Sydney gewechselt. Was bedeutet das für die Kirche der Region?
Garmou: Nona ist im Juni von der chaldäischen Synode ausgewählt worden, um den Bischof von Sydney zu ersetzen, der in den Ruhestand geht. Der Papst hat seiner Wahl zugestimmt. Also verlässt er Mossul, weil er der neue Leiter der chaldäischen Ortskirche von Australien wird. Das ist keine Flucht - dort hat er eine neue Mission.
KNA: Aber einen Nachfolger in Mossul gibt es noch nicht.
Garmou: Die Diözese ist sehr wichtig für uns chaldäische Katholiken. Leider ist die Stadt seit Juni in den Händen des IS. Beinahe alle Christen aus der Stadt und dem Umland mussten fliegen. Somit ist dort derzeit fast kein Christ mehr geblieben. Eines Tages, wenn die Christen dorthin zurückkehren, werden wir ohne Zweifel einen neuen Erzbischof wählen.
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