50 Jahre nach den Massakern fehlt in Indonesien die Aufarbeitung
KNA 29.09.2015
Von Michael Lenz (KNA)
Jakarta (KNA) "Vertuscht nicht länger, was geschehen ist. Es ist höchste Zeit, sich dem zu stellen, was passiert ist." Diesen Appell richtet der Jesuitenpater Franz Magnis Suseno gleichermaßen an die Kirche und den Islam, an Politik und Gesellschaft Indonesiens. Der in Schlesien geborene Direktor der Philosophischen Hochschule Driyarkara in Jakarta lebt seit über fünf Jahrzehnten in Indonesien, erlebte als Zeitzeuge die Ereignisse von 1965, die Zeit der Suharto-Diktatur und Indonesiens demokratischen Aufbruch. Vor wenigen Tagen erfuhr er einmal mehr, wie das Massaker, das vor 50 Jahren stattfand, totgeschwiegen wird.
Der 79-Jährige war zu einem Seminar über die Ereignisse von 1965 in die kirchliche Schule Ledalero für Philosophie in Maumere auf Flores eingeladen, der einzigen indonesischen Region mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit. "Der Bischof von Maumere und einige Politiker wollten das Seminar verhindern", berichtet Suseno. "1965 ist noch immer ein sehr sensibles Thema, über das man hier lieber nicht spricht." Die Faktenlage ist dünn: Sicher ist, dass am 30. September 1965 sechs Armeegeneräle ermordet wurden - wer die Täter waren, wer die Hintermänner, welche Motive sie hatten - das alles ist bis heute ungeklärt, Gegenstand von Spekulation und Propaganda. "An den indonesischen Universitäten wird diese Geschichte nicht erforscht", sagt Suseno.
Armeegeneral und Staatspräsident Haji Mohamed Suharto machte die Kommunisten als Schuldige aus und warf der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) einen Putschversuch vor. Die PKI war zu dieser Zeit als eine der größten kommunistischen Parteien Südostasiens mit drei Ministern in der Regierung von Präsident Suharto vertreten. Der nie bewiesene Vorwurf eines kommunistischen Putsches war Auslöser für die blutigen Massaker. Von Sumatra über Java und Bali bis nach Flores wurden bis zu eine Million Menschen getötet. Hunderttausende wurden verhaftet, gefoltert, ohne Gerichtsverfahren für Jahrzehnte inhaftiert. "Mehr als zehn Millionen Menschen verloren ihre soziale Existenz", sagt Suseno.
Eine der Leidtragenden ist Uchi Kowati. Die Eltern der heute 62-Jährigen verbrachten viele Jahre ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis, eine Tante und ein Onkel sind bis heute spurlos verschwunden, ein weiterer Onkel wurde erschossen. "Ich durfte einige Jahre nicht mehr die Schule besuchen und musste mich täglich bei der Polizei melden", erinnert sich die freiberufliche Journalistin.
Täter waren die Armee und Milizen wie die Banser-Milizen in Ostjava, die "Multifunktionale Hilfstruppe" der muslimischen Massenorganisation Nahdlatul Ulama. Auf Flores wüteten Katholiken. Eine wichtige Rolle in dem damaligen Geschehen habe etwa Joop Beek, ein holländischer Jesuit gespielt, der, so Suseno, politische Kaderschulung betrieben habe.
Für Suseno ist es an der Zeit, die Opfer als Opfer anzuerkennen und sie um Verzeihung zu bitten. "Auch ich habe damals den Kommunismus als große Gefahr für Indonesien gesehen. Aber für die Morde gibt es absolut keine Rechtfertigung", so Suseno. Für die Zukunft des Landes ist dem Jesuiten zufolge vor allem Aufklärung wichtig - etwa an Schulen, wie im Rahmen des geplanten Seminars an der kirchliche Schule Ledalero. Die Schule und Suseno widersetzten sich der Intervention. Das Seminar fand statt. Auch das ist das Indonesien im Jahr 2015.
(KNA - pktmt-89-00189)
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