Nach Kopftuch-Urteil geht die Debatte weiter
KNA 16.03.2015
Berlin/Osnabrück (KNA) Nach dem Kopftuch-Urteil vom Freitag debattieren Politiker und Vertreter von Religionsgemeinschaften weiter. Nach Einschätzung der evangelischen Theologin Margot Käßmann sagt "ein Kopftuch allein noch gar nichts aus". Entscheidend sei das Frauenbild, das dahinter stehe, schreibt sie in ihrer Kolumne in der "Bild am Sonntag". Alte Geschlechterrollen, "die Frauen Freiheit versagt haben", dürften an Schulen keinen neuen Raum finden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einer am Freitag bekannt gegebenen Entscheidung ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt.
Der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar begrüßte das Urteil. Die Entscheidung sei überfällig gewesen, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag). Muslimischen Frauen, die erfolgreich ein Lehramtsstudium abgeschlossen hätten, dürfe man nicht unterstellen, dass sie gegen ihren eigenen Willen ein Kopftuch tragen würden. Für sie sei das Tragen kein Zeichen der Unterdrückung. Nach Einschätzung von Ucar wird die Zahl muslimischer Lehrerinnen, die künftig ein Kopftuch im Unterricht tragen, "überschaubar" sein.
Kritik äußerte Ucar daran, dass die Verfassungsrichter ein Verbot für möglich halten, wenn es zur konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens führen könne. Diesen Passus müssten die Juristen konkretisieren, so der muslimische Theologe. Er dürfe nicht dazu führen, dass antiislamisch gestimmte Eltern dies als Hebel gegen muslimische Lehrerinnen nutzten, weil sie meinten, "Krawall machen zu müssen".
Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, äußerte indes Zweifel, ob ein Burka-Verbot nach der Aufhebung der generellen Kopftuchverbote durch das Bundesverfassungsgericht durchsetzbar ist. Trotzdem forderte er in einem Gespräch mit der "Passauer Neuen Presse" (Samstag), Möglichkeiten für ein solches Verbot des islamischen Ganzkörperschleiers weiter auszuloten. "Wer mit öffentlichen Instanzen zu tun hat, der soll auch sein Gesicht zeigen, damit die Amtsträger wissen, mit wem sie es tun haben", sagte Bosbach.
Durch das Kopftuch-Urteil entstehe hohe Rechtsunsicherheit an den Schulen, so der Innenpolitiker weiter. "Nach welchen Kriterien soll eine Schule genau feststellen, ob der Schulfrieden gestört ist oder nicht? Reicht es bereits aus, wenn sich einige Schüler oder Eltern dagegen wehren, dass eine Lehrerin mit Kopftuch unterrichten will, oder muss es schon massiven Widerstand geben?" Das sei nach dem Urteil "völlig offen".
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(KNA - pknlp-89-00016)
Kopftuch-Urteil weckt in NRW Hoffnungen und Befürchtungen
Von Johannes Nitschmann (KNA)
Düsseldorf (KNA) Nach der Aufhebung des generellen Kopftuchverbots für Lehrerinnen an Schulen durch das Bundesverfassungsgericht streben die Regierungsfraktionen im Düsseldorfer Landtag eine rasche Änderung des Schulgesetzes an. In dem Gesetz werde künftig auf ein Kopftuchverbot verzichtet werden, hieß es am Montag nach einer Sitzung der SPD-Fraktion.
Am Ende müsse die Entscheidung bei der jeweiligen Schulleitung und Schulkonferenz liegen, ob eine kopftuchtragende Lehrerin den Schulfrieden stört. In diesem Fall könne sie weiterhin von der Schule entfernt werden.
Das Karlsruher Urteil hat an den Schulen im bevölkerungsreichsten Bundesland Hoffnungen und Befürchtungen geweckt. Während SPD und Grüne die Möglichkeit sehen, mehr muslimische Lehrerinnen für den Schulbetrieb zu gewinnen, zeigen sich die Lehrerverbände skeptisch. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sehen die Gefahr, dass durch kopftuchtragende Pädagoginnen Druck auf muslimische Schülerinnen ausgeübt werden könne, gleichfalls ihr Haar zu verhüllen. Die Neuregelung werde vor allem die Schulleiter vor große Herausforderungen stellen.
Es sei schwierig, im Schulalltag eine mögliche Gefährdung einzuschätzen, sagt Hubert Bertke, Leiter der Adolph-Kolping-Schule in Lohne. Bei Fehlentwicklungen könne es sogar zu gegenseitigen Bespitzelungen im Lehrerkollegium kommen. Dadurch werde eine freie und kreative Arbeit der Lehrer massiv eingeschränkt. VBE-Landeschef Udo Beckmann sieht auch nach dem Urteil bei kopftuchtragenden Lehrerinnen "eine Verletzung der Neutralitätspflicht". Für den Vorsitzenden des NRW-Philologenverbandes, Peter Silbernagel, öffnet die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts weitere Spielräume für ein Kopftuchverbot. "Es wird zu Auslegungsschwierigkeiten kommen", vermutet er.
Dagegen will die rot-grüne Koalition das von der schwarz-gelben Vorgängerregierung 2006 im Schulgesetz verankerte Kopftuchverbot komplett kippen. SPD und Grüne hatten das Gesetz stets für falsch gehalten.
Angesichts etwa 20 kopftuchtragender Lehrerinnen an NRW-Schulen sei das Vorgehen völlig überzogen gewesen. Bei ihrer kritischen Haltung hatte Rot-Grün auch die Rückendeckung der Kirchen. In der parlamentarischen Beratung hatten die Kirchenvertreter seinerzeit betont, dass Schulen nach der Landesverfassung - anders als in laizistischen Staaten - "kein religionsfreier Raum" seien. Da das Kopftuch "keinen Rückschluss auf verfassungsfeindliches Gedankengut" zulasse, werde mit seinem Verbot für Lehrerinnen "integrationspolitisches Porzellan" zerschlagen, warnte die katholische Kirche damals.
Vertreter der muslimischen Verbände hatten wiederholt an Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) appelliert, das Kopftuchverbot wenigstens für muslimische Religionslehrerinnen zu lockern. Viele Islamkunde-Lehrerinnen scheuten eine notwendige Zusatzausbildung, weil sie ihre religiösen Symbole im Unterricht nicht ablegen wollten. Nun sieht Löhrmann "eine klare Perspektive" für diese Lehrerinnen.
Derzeit wird islamischer Religionsunterricht für 4.500 muslimische Schüler an 36 Grundschulen und 25 weiterführenden Schulen in NRW erteilt. Für den Ausbau stehen landesweit nur 50 Lehrkräfte zu Verfügung. Mit der Abschaffung des Kopftuchverbots soll eine wichtige Hemmschwelle für Muslimas fallen. Das Urteil schaffe für diese Lehrerinnen Sicherheit, so die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Renate Hendricks: "Das Kopftuchverbot ist Makulatur."
CDU-Oppositionsführer Armin Laschet hat bereits zugesichert, den Gesetzgebungsprozess "im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konstruktiv" zu begleiten. Die FDP-Fraktion drängt aber bei der Umsetzung auf die "weltanschauliche Neutralität des Staates".
In allen Schulen müsse gewährleistet sein, "dass keine Schülerin unter Druck gesetzt wird, ein Kopftuch zu tragen", so Fraktionsvize Joachim Stamp. Diese "individuelle Privatsache"dürfe nicht von religiösen Autoritäten im Unterricht verordnet werden.
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(KNA - pknlq-89-00124)
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