Lage der muslimischen Minderheit in Myanmar immer dramatischer
KNA 21.10.2015
Von Michael Lenz (KNA)
Rangun (KNA) Der Monsun ist vorüber. Die See im Golf von Bengalen wird wieder ruhiger. Myanmar hingegen steuert politisch in eine schwere See. Am 8. November wählt das Land in einer Übergangsphase nach Jahrzehnten der Militärdiktatur ein neues, demokratisches Parlament. Die rund eine Million in Myanmar lebenden muslimischen Rohingya aber, verhasst und verfolgt, dürfen auf Druck der militanten buddhistischen Mönchsorganisation Ma Ba Tha nicht wählen. Die großen Parteien, auch die Nationale Liga für Demokratie von Aung San Suu Kyi, leisten keinen Widerstand. Im Gegenteil: Auf muslimische Kandidaten haben sie lieber verzichtet.
Die jüngste Verfolgungswelle der im Rakhine-Staat im Westen Myanmars lebenden Rohingya begann 2012 mit einem Pogrom militanter Buddhisten. Hunderte Menschen kamen ums Leben; Hunderttausende leben seitdem unter furchtbaren Bedingungen in Lagern. "Es fehlt am Nötigsten. Die Behörden behindern humanitäre Einsätze von Hilfsorganisationen", klagt Htike Htike, eine Rohingya, die in Bangkok lebt.
Zehntausende sind in der ersten Jahreshälfte in Booten über den Golf von Bengalen und die Andamanensee nach Thailand, Malaysia und Indonesien geflohen. Die Zustände auf den zumeist hoffnungslos überfüllten, kaum seetüchtigen Seelenverkäufern erwiesen sich jedoch ebenfalls als fatal.
Menschenhändler nehmen die Flüchtlinge als Geiseln und erpressen Lösegeld von den Familien. Eine 15 Jahre alte Rohingya berichtete der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Schlepper hätten von ihrem Vater umgerechnet 1.500 Euro verlangt. "Sie haben mich während des Telefonats verprügelt. Er konnte mich schreien hören."
Entweder auf den Schiffen auf hoher See oder in geheimen Dschungellagern im thailändisch-malaysischen Grenzgebiet würden Flüchtlinge bis zur Zahlung von Lösegeld gefangen gehalten, heißt es in einem aktuellen Amnesty-Report. Werde kein Lösegeld gezahlt, würden die Menschen umgebracht. "Einige wurden erschossen, andere über Bord geworfen", zitiert die Organisation aus Aussagen von rund 100 für den Report befragten Flüchtlingen.
Obwohl an der thailändisch-malaysischen Grenze im Mai Dutzende Massengräber entdeckt wurden, wollten die Rohingya ungeachtet der "höllischen" Umstände einer Flucht weiterhin weg aus Myanmar, sagt Anna Shea, Autorin des Amnesty-Reports. Es handele sich um pure Verzweiflung.
Die antimuslimische Hetzkampagne der Organisation Ma Ba Tha trägt Früchte. Myanmars Regierung weigert sich, zusammen mit den anderen neun Mitgliedern des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN eine politische Lösung für das Flüchtlingsproblem zu finden. Die Rohingya, so die Haltung der Regierung, seien lediglich illegale Einwanderer aus Bangladesch.
Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi schweigt zur Verfolgung der Muslime. Sie weiß: Jede positive Äußerung über die Minderheit kostet sie Wählerstimmen. Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung der Lage hat daher niemand. "Im Rakhine-Staat wird die Arakan National Party die Wahl gewinnen. Die ist eng mit den extremistischen buddhistischen Mönchen verbunden. Dann wird alles noch schlimmer", prophezeit Htike Htike.
In einem kürzlich in Bangkok veröffentlichten Dokument forderte eine ASEAN-Parlamentariergruppe die EU und die USA auf, Myanmar zur Beendigung der "Unterdrückungspolitik" zu drängen. Andernfalls sähen sich die Rohingya weiter "gezwungen, das Land zu verlassen". Die Gruppe warnt: "Die nächste Flüchtlingswelle kommt." Sie könnte schnell zum größten Drama von Bootsflüchtlingen in Südostasien seit Ende des Vietnam-Kriegs werden.
(KNA - plkml-89-00109)
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