Bundestag will Massaker an Armeniern nun doch Völkermord nennen
KNA 20.04.2015
Von Christoph Arens (KNA)
Berlin (KNA) Es ist ein heikler Streit um ein Wort. Für die Linke gleicht er einem "Eiertanz" und einem "beschämenden Schauspiel". Und die Bundesregierung stimmte erst nach langem Tauziehen zu. Am Montag verständigten sich die Bundestagsfraktionen von Union und SPD auf eine gemeinsame Erklärung zu den Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren. Nach erheblichem öffentlichen Druck kommt im Antrag für die Bundestagsdebatte am Freitag nun doch das Wort "Völkermord" vor. Allerdings in einer sehr weich gespülten Form.
Denn Union und SPD richten nicht einen direkten Vorwurf des Völkermords an die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs. "Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier" heißt es nach Angaben der beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Franz-Josef Jung (CDU) und Rolf Mützenich (SPD) in dem Text. "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."
Offenbar gab es im Vorfeld intensive Verhandlungen, in die auch Bundesregierung, Bundespräsidialamt und Außenministerium einbezogen wurden. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, der Antrag sei auch "im Gespräch mit der Bundesregierung entstanden". Zugleich hob er hervor, dass Deutschland laut Antrag "um die Einzigartigkeit des Holocaust" wisse. Außenamtssprecher Martin Schäfer betonte dass der Antrag mit dem Außenminister abgestimmt worden sei. Ebenso habe es auch mit Blick auf die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck einen Austausch mit dem Bundespräsidialamt gegeben. Jung hatte zuvor erklärt, er vermute, dass Gauck nach einem Gottesdienst am Donnerstagabend ebenfalls von einem Völkermord sprechen werde.
Damit geht Deutschland einen Schritt weiter als im Jahr 2005, als der Bundestag ebenfalls über die Bezeichnung Völkermord im Zusammenhang mit den Ereignissen im Osmanischen Reich stritt. Damals wurde der Begriff aus Sorge um das deutsch-türkische Verhältnis aus dem eigentlichen Antrag gestrichen und in die Begründung verbannt. Doch in der Zwischenzeit haben sich die Gewichte verschoben: Vor einer Woche hat Papst Franziskus vom "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts" gesprochen. Zahlreiche Parlamente, darunter das französische, schwedische und niederländische und das Europäische Parlament haben den Völkermord an den Armeniern bereits benannt.
Kuschen vor dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan? In den vergangenen Tagen hatten auch zahlreiche Abgeordnete aus den Reihen von Union und SPD eine mutigere Haltung des Bundestags gefordert. Rund 120 deutsche Wissenschaftler sprachen sich ebenfalls für die Anerkennung des Massakers als Völkermord aus. Dies sei der einzige Weg, der Erinnerung und Forschung Raum zu geben, so unter anderen die Historiker Jürgen Osterhammel, Jörn Rüsen, der Politologe Elmar Altvater, der Publizist Micha Brumlik, die Ägyptologen Jan und Aleida Assmann sowie der Soziologe Moshe Zuckermann und der frühere evangelische Bischof Wolfgang Huber. Ein Einknicken vor der Türkei wäre "eine Einwilligung in die Politik der Leugnung".
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fiel die Entscheidung offenbar nicht ganz einfach. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, er habe Verständnis für das Drängen auf den Begriff Völkermord. "Man kann das, was damals geschehen ist, in dem Begriff des Völkermordes zusammenfassen wollen." Er sei aber in Sorge, dass eine immer aufgeladenere Debatte den Beginn eines ernsthaften Dialogs zwischen Türken und Armeniern "erschweren oder gar unmöglich machen" könnte, sagte er der ARD am Sonntagabend. Der Zentralrat der Armenier hielt dem SPD-Politiker daraufhin am Montag vor, er trete "als Advokat Ankaras auf". Diese Haltung unterstütze lediglich "die aggressive türkische Politik gegenüber den christlichen Gemeinschaften in der Türkei".
(KNA - pkomk-89-00154)
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