Welcher Islam gehört zu Deutschland?
KNA 15.01.2015
Von Christoph Scholz (KNA)
Berlin (KNA) Die Solidaritätsbekundungen mit den Muslimen in Deutschland durch die Spitzen von Staat, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften in den vergangenen Tagen waren unmissverständlich und eindrucksvoll. Das galt auch für die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu den Terroranschlägen von Frankreich und die Beiträge der Redner anderer Fraktionen am Donnerstag im Bundestag. Merkel bekräftigte die Worte von Altbundespräsident Christian Wulff: Auch der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland. Allerdings machte sie auch deutlich, dass die Muslime gefordert seien zu klären, welcher Islam gemeint sei.
Dabei ging es der Kanzlerin nicht um Schuldzuweisungen. Im Gegenteil, sie nahm die vier Millionen Muslime in Deutschland gegen Pauschalverurteilungen in Schutz: "Jede Ausgrenzung von Muslimen in Deutschland, jeder Generalverdacht verbietet sich." Die allermeisten Muslime in Deutschland seien rechtschaffen und verfassungstreu. Und Merkel würdigte die Verurteilung von Gewalt und Terror durch die muslimischen Verbände. Allerdings müsse beantwortet werden, wie Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam beriefen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollten, so die Kanzlerin: "Das sind berechtigte Fragen. Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig. Und ich halte sie für dringlich!"
Zu Beginn der Sitzung hatte bereits Bundestagpräsident Norbert Lammert den Finger in die Wunde gelegt. Die "gut gemeinte Erklärung", man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, der religiös begründete Terrorismus habe mit dem Islam nichts zu tun, reiche nicht. Diese Aussage sei ebenso unwahr wie die Behauptung, die Kreuzzüge, Inquisition oder Hexenverbrennungen hätten nichts mit dem Christentum zu tun, sagte Lammert.
Jeder um Aufklärung bemühte Muslim müsse sich mit der Frage auseinandersetzen, warum noch immer im Namen Allahs Menschen verfolgt, drangsaliert und getötet würden, sagte der Bundestagspräsident. Auch mit staatlicher Autorität werde im Namen Gottes "gegen Mindeststandards der Menschlichkeit verstoßen", so Lammert. Saudi-Arabien habe das Attentat in Paris als "feigen Terrorakt" verurteilt, "der gegen den wahren Islam verstößt", und zwei Tage später lasse das Land den Blogger Raif Badawi in Dschidda öffentlich auspeitschen. Der Berliner Weihbischof Matthias Heinrich hatte bereits bei der Mahnwache darauf hingewiesen, wie bedrängend diese Grundfragen für eine Gesellschaft seien, die sich durch die Gewalttaten nicht gegeneinander aufbringen lassen wolle. Diese seien "Fragen - nicht nur an die muslimischen Gemeinschaften, sondern letztlich an uns alle". Denn die Täter von Paris seien in Frankreich aufgewachsen. Von dort und aus anderen europäischen Ländern zögen junge Muslime nach Syrien und in den Irak, um Krieg zu führen.
Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide forderte diese Woche in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", endlich "einen innerislamischen theologischen Diskurs" zu führen. Wie groß die Herausforderung ist, weiß der von Konservativen als zu liberal angefeindete Theologe aus eigener Erfahrung. Dennoch zeigt er sich hoffnungsvoll. "Es muss sich einfach etwas verändern, wir müssen die aufgeklärten Positionen stärker unterstützen", meinte er. "Vielleicht rütteln nun diese schrecklichen Ereignisse in Paris hierzulande einen humanistischen Islam wach."
Ein eindrucksvolles Zeichen für einen solchen Islam war die Mahnwache vor dem Brandenburger Tor am Dienstagabend. Daran ließ keiner der Redner einen Zweifel, bis hin zu Bundespräsident Joachim Gauck. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, wies auf die hohe Verantwortung muslimischer Verbände beim Kampf gegen eine Radikalisierung des Islam hin - bis hin zum schädlichen Einfluss des Internets oder von Fernsehsendern aus dem arabischen Raum. Lehrer machte zugleich deutlich: "Um erfolgreich zu sein, brauchen sie unsere Unterstützung", die Unterstützung der gesamten offenen Gesellschaft. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, versprach "Wir werden nicht zulassen, dass unser Glaube missbraucht wird."
(KNA - pkllp-89-00213)
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