In türkische Debatte über Völkermord an Armeniern kommt Bewegung
KNA 30.01.2015
Istanbul (KNA) Die Türkei ist nach den Worten ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bereit, sich dem Urteil einer Historiker-Kommission in der Frage des Völkermords an den Armeniern zu beugen. In einem Interview mit dem türkischen Staatsfernsehen TRT erneuerte Erdogan am Donnerstagabend seinen Vorschlag, eine Expertenkommission einzusetzen, um die Frage zu klären, ob es sich bei der Vertreibung der Armenier im Osmanischen Reich um einen Völkermord gehandelt habe. "Wenn es wirklich ein Verbrechen gab und ein Preis von uns zu zahlen ist, dann werden wir uns das ansehen und die entsprechenden Schritte tun", sagte Erdogan.
Im April jährt sich der Beginn der Massaker an den Armeniern von 1915 zum 100. Mal. Die Türkei geht davon aus, dass die Forderung nach einer Anerkennung des Völkermordes anlässlich des Jahrestages verstärkt vorgetragen werden wird. Erdogan bekräftigte die offizielle türkische Position, wonach es 1915 von armenischer Seite genau so viel Gewalt gegeben habe wie es gegen Armenier gerichtetes Unrecht gab. Die Türkei sei bereit, sich an einen Tisch zu setzen und darüber zu spre-chen. Armenien drücke sich aber davor.
Armenien und ein Großteil der internationalen Forschung bewerten die Gewalt gegen die Armenier im untergehenden Osmanischen Reich als Völkermord mit bis zu 1,5 Millionen Todesopfern. Die Türkei weist dies zurück und spricht von einer Umsiedlungsaktion unter Kriegsbedingungen. Die Nachbarn Türkei und Armenien unterhalten bis heute keine diplomatischen Beziehungen. Erdogan hatte im vergangenen Jahr erstmals offiziell des Leids der Armenier gedacht. Des Weiteren lud er jüngst seinen armenischen Amtskollegen Sergej Sarkissjan zum Weltkriegsgedenken am 24. April in die Türkei ein.
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Genozid an den Armeniern
Bonn (KNA) Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier ermordet. Während Historiker vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" sprechen und der türkischen Regierung die Verantwortung zuweisen, räumt die Türkei bislang lediglich ein, dass es Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben habe. In deren Folge seien Hunderttausende gestorben.
Hintergrund des Völkermords waren Versuche der 1909 an die Macht gekommenen nationalistischen Jungtürken, ein einheitliches Reich zu schaffen, Türkisch als Einheitssprache und den Islam als al-leinige kulturelle und religiöse Basis durchzusetzen. Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit, dieses Konzept durchzusetzen. Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland im Januar 1915 begann am 24. April die systematische Verfolgung: Zu Tausenden wurde die Elite der Armenier verhaftet und hingerichtet; Zehntausende starben auf Todesmärschen.
Nach dem Ende des Weltkriegs leiteten die westlichen Siegerstaaten Prozesse ein. Ein Istanbuler Kriegsgericht konnte beweisen, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden. Es verurteilte 17 Angeklagte zum Tode; 3 Hinrichtungen wurden vollzogen. Die Haupttäter flohen, einige wurden spä-ter von armenischen Attentätern ermordet.
Mittlerweile haben 22 Staaten den Genozid offiziell anerkannt, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande. 1985 erschien der Begriff "Armenian genocide" in einem offiziellen Papier der UNO. Der Deutsche Bundestag sprach 2005 lediglich von "Deportationen und Massakern". Der umstrittene Be-griff "Völkermord" wurde nicht im eigentlichen Antragstext, wohl aber in der Begründung verwendet.
Hintergrund sind die traditionell engen Beziehungen zur Türkei und die große türkische Bevölke-rungsgruppe in der Bundesrepublik. Das Deutsche Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg mit dem Os-manischen Reich verbündet; deutsche Generäle waren bei Planung und Durchführung der Aktionen beteiligt.
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