Politologe Hasenclever zum Verhältnis von Religion und Gewalt
KNA 13.04.2015
Von Michael Jacquemain (KNA)
Tübingen (KNA) Gewalt und Religion - für die einen ein unauflöslicher Widerspruch, für die anderen ein eindeutiger Zusammenhang. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert der Tübinger Politologe Andreas Hasenclever am Montag, wie er das Verhältnis zwischen Greueln und Gott sieht.
KNA: Herr Professor Hasenclever, in Ihrer jüngsten Veröffentlichung schreiben Sie, Religionen seien strukturell unfähig, um Gewalt zu rechtfertigen. Warum?
Hasenclever: Diese Position hängt mit dem Religionsverständnis zusammen: Religionen antworten auf menschliche Sinnfragen. Diese Sinnfragen ergeben sich aus brutalen Endlichkeitserfahrungen: Elend, Tod, Krieg. Um hier eine halbwegs überzeugende Antwort geben zu können, müssen Religionen Mächte mobilisieren, die nicht von dieser Welt sind. Und weil sie nicht von dieser Welt sind, können wir von ihnen nicht viel mehr wissen, als dass sie unsere Rettung sind, wenn es sie denn gibt.
Religionen können deshalb ein starkes Gespür für Ungerechtigkeit und Endlichkeit entwickeln und können angesichts von Ungerechtigkeit und Endlichkeit versuchen, eine Heilszusage zu transportieren. Die konkrete Auslegungsarbeit muss die Glaubensgemeinschaft leisten. Entsprechend komplex sind die religiösen Traditionen, die wir kennen, und entsprechend schwierig ist es, sie auf die Schwarz-Weiß-Muster zu bringen, die für die Legitimation von Gewalt unabdingbar ist.
KNA: Nun waren aber weder die Kreuzzüge, die Eroberung Amerikas oder die Hexenverfolgungen besonders gewaltarm, aber zweifellos religiös motiviert.
Hasenclever: Das ist richtig. Aber wenn wir uns die Legitimationsmuster genauer ansehen, dann werden wir feststellen, dass sie mit den intendierten Wahrheiten der Religion nicht vereinbar waren. Wir haben es im Kern mit menschlicher Gewalt zu tun, die zu Unrecht behauptet, durch einen heiligen Auftrag gedeckt zu sein. Daran ändern auch die subjektiven Überzeugungen von Tätern nichts. Sie sind schlicht im Unrecht.
KNA: Dort, wo religiöse Gründe als Motiv für kriegerische Auseinandersetzungen benannt werden, sprechen Sie von 'halbierter Religion'. Was heißt das?
Hasenclever: Bei einer 'halbierten Religion' erkennen wir die religiöse Form, vermissen aber den spezifisch religiösen Inhalt. Dieser Inhalt ergibt sich aus dem Kerngeschäft der Religionen - nämlich das Unsagbare, weil mit endlichen Kategorien eigentlich nicht Erfassbare, doch mit endlichen Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Form gewahrt, aber der Inhalt ignoriert wird, wird Religion zu einer Ideologie neben anderen. Die jeweilige Heilsaussage 'Ihr seid gerettet' wird benutzt, um weltliche Ansprüche zu rechtfertigen.
Nicht mehr unterscheidbar wird Gewalt im Namen des Heiligen ausgeübt oder im Namen einer Ethnie, einer Nation oder eines politischen Programms. Immer werden andere unter Verweis auf eine wie auch immer überlegene Idee mit brutalsten Mitteln unterdrückt und bekämpft. Eine missbrauchte Religion wirkt also tatsächlich eskalierend, ist aber nicht mehr Religion im ursprünglichen, strengen Sinn.
KNA: Den Opfern von Boko Haram oder vom Islamischen Staat ist es aber relativ egal, ob diese Terrorgruppen ein halbiertes Verständnis von Religion haben.
Hasenclever: Das ist so. Für die Opferperspektive hat das erst einmal keine Konsequenzen. Da gibt es nichts zu beschönigen.
KNA: Welche Konsequenzen sehen Sie für den interreligiösen Dialog?
Hasenclever: Der Dialog soll helfen, Einheit in der Verschiedenheit der Religionen sichtbar zu machen. Hierzu werden sich ihre Vertreter lange und intensiv unterhalten und miteinander streiten müssen. Im Letzten gilt für mich der Satz von Mahatma Gandhi, dass es nicht darum gehen kann, dass sich Hindus, Juden, Christen und Muslime wechselseitig bekehren, sondern darum, dass aus Hindus bessere Hindus, aus Juden bessere Juden, aus Christen bessere Christen und aus Muslimen bessere Muslime werden müssen.
KNA: Und wie ist den Terrorgruppen zu begegnen?
Hasenclever: Menschen müssen sich vor Gewaltakteuren schützen können. Und auf Konferenzen, in Medien und im Internet muss ein Bewusstsein, dafür geschaffen und transportiert werden, dass die großen radikalen Vereinfacher falsch liegen. So kann weitere Eskalation verhindert werden.
KNA: Was können die Religionen machen?
Hasenclever: Wo Konflikte bestehen, können Glaubensgemeinschaften zum Frieden aufrufen und sich dafür einsetzen, dass es nicht zu 'halbierter Religion' kommt. Das hat zum Beispiel in Südafrika sehr gut geklappt. Nicht umsonst hat der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu den Friedensnobelpreis erhalten. Zudem können glaubwürdige Religionsparteien als Vermittler tätig werden - etwa wie Sant'Egidio in Mosambik.
Religionen müssen aber wissen, dass sie vor allem einen Heils- und Verkündungsauftrag haben und sich politisch zurückzuhalten haben. Sie haben zwar ein gutes Gespür dafür, was in unserer Welt schiefläuft und sie sollen sogar auf Missstände hinweisen und Abhilfe fordern. Wie das aber geschehen soll, dafür haben sie keine besondere Kompetenz. Sie sind dann eine Stimme unter vielen. Mal haben sie gute Argumente, mal schlechte.
KNA: Medien transportieren oft das Bild, dass eine Religion mit Gewalt behaftet ist ...
Hasenclever: ... und das ist furchtbar. Wir Wissenschaftler haben die Aufgabe, Dinge klarzustellen und ein differenziertes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen. Davon unbenommen gilt aber auch, dass Religionen dafür verantwortlich sind, dass ihre Traditionen so vermittelt werden, dass sie nicht zur Gewalt taugen.
(KNA - pkolk-89-00080)
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