Muslimische Flüchtlingsfamilie findet Zuflucht im Pfarrhaus
KNA 11.09.2015
Von Karin Wollschläger (KNA)
Leipzig (KNA) "Der Krieg wurde immer schlimmer, der IS tötet Menschen für nichts, wir mussten weg." Im Herbst vergangenen Jahres brach der 34-jährige Chirurg von der syrischen Hauptstadt Damaskus Richtung Deutschland auf. "Von da kamen so viele gute Nachrichten, alles sah so schön aus." Seinen Namen möchte er lieber nicht in einem Artikel lesen - die Angst vor Verfolgung sitzt tief. Sie ist auch in dem Leipziger Pfarrhaus noch nicht verflogen, wo A. und seine Frau, ebenfalls Ärztin, mit der dreijährigen Tochter seit Februar wohnen.
A. floh zunächst allein. 45 Tage war er unterwegs: "Ich hatte ein bisschen Geld, das hat es einfacher gemacht." Anfang November landete er in der Erstaufnahmeeinrichtung in Nürnberg, stellte seinen Asylantrag, wurde erst nach Chemnitz verlegt, kurz danach nach Leipzig. Seitdem wartet er auf Antwort vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Ohne einen Asylbescheid ist er quasi "handlungsunfähig": "Ich kann keine Arbeit annehmen, kein Deutschkurs wird bezahlt, kein Sozialamt ist für mich zuständig", berichtet A. in verblüffend gutem Deutsch. Er hat es sich zunächst auf eigene Faust per Internet beigebracht. Dann finanzierte die Stadt Leipzig ihm 200 Unterrichtsstunden. "Aber das reicht nicht, Sprache ist das Wichtigste. Darum bezahle ich jetzt einen VHS-Kurs selbst. Von den 350 Euro, die ich im Monat bekomme."
Nach seiner Registrierung versuchte A. sofort, seine Familie nachzuholen. Da seine Frau durch rumänische Vorfahren einen EU-Pass hat, war die Einreise vergleichsweise einfach. Doch sie und die Tochter durften nicht zu A. ins Asylheim. Erst die Caritas-Flüchtlingsberatung, die die Familie betreut, fand einen Ausweg.
"Jeder Wohlfahrtsverband hat sein Hinterland, unseres sind die Kirchen", erläutert Caritas-Mitarbeiter Thomas Körner. Er wusste um eine leerstehende Wohnung im Pfarrhaus der katholischen Pfarrei Sankt Georg in Leipzig-Gohlis und rief den dortigen Pfarrer Marcus Hoffmann einfach an.
Dann ging alles ganz schnell: Eine Woche später zog die Familie ein. "Die Wohnung war sanierungsbedürftig und nicht möbliert, aber aus der Gemeinde fanden sich ganz schnell Leute, die alles hergerichtet und Möbel gespendet haben", erzählt Hoffmann. Eine pensionierte Lehrerin half beim Deutsch lernen, eine Tagesmutter nahm die kleine Tochter in ihre Kindergruppe auf. Andere halfen bei Behördengängen oder kamen einfach nur zu Besuch, schauten, welche Hilfe gerade nötig war.
Hoffmann selbst macht kein großes Aufhebens um die neuen "Mitbewohner" in dem weitläufigen Pfarrhaus, einer alten Jugendstil-Villa. Er informierte umfänglich den Pfarrgemeinderat und meldete es kurz im Gottesdienst: "Der Caritas-Berater hatte mir gesagt, dass die Familie traumatisiert ist. Da war einfach das Wichtigste, dass sie jetzt hier endlich zur Ruhe kommen können."
A. erzählte ihm vom Bürgerkrieg in Syrien, von den unvorstellbaren Grausamkeiten, die dort Tag für Tag passieren und von denen nur ein kleiner Teil bis nach Deutschland dringt. "Sie haben schreckliche Bilder im Kopf und im Herzen", sagt der 41-jährige Pfarrer. Es veränderte seinen Blick auf Flucht und Asyl. In seiner Gemeinde initiierte er eine kleine Vortragsreihe mit Experten zu dem Thema. Der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig wirkt ebenso mit wie der Weltkirche-Referent des Bistums Dresden-Meißen und ein Islam-Fachmann. Es geht auch darum, mit Fakten und Einordnungen vorhandene Ängste und Vorurteile abzubauen.
Die syrische Familie lebte schon ein paar Wochen im Pfarrhaus, als Hoffmann das erste Mal nach ihrer Religion fragte. "Wir hatten ein Familienwochenende mit der Gemeinde, und ich wollte sie dazu einladen", erzählt er.
A. lacht: "Ja, ich erinnere mich sehr gut: Er kam und fragte, ob wir in die Kirche gehen. Ich sagte, wir sind Muslime, aber wir sind offen." Der Arzt berichtet, dass es in seiner Heimat vor dem Bürgerkrieg keinerlei Konflikte zwischen den Religionen gab. "Warum soll ich ein Problem mit einer anderen Religion haben? Nein. Außerdem: Adam ist der Großvater von uns allen." Hoffmann nickt.
(KNA - pktlk-89-00151)
Auf unserer Hauptseite finden Sie weitere Informationen zu den Themen interreligiöser Dialog und christlich islamischer Dialog.