Karlsruhe: Pauschales Kopftuchverbot ist verfassungswidrig
KNA 13.03.2015
Karlsruhe (KNA) Das Bundesverfassungsgericht hat ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen für verfassungswidrig erklärt. Vertreter von SPD und Grünen, die Kultusministerkonferenz, die katholischen Bischöfe und Vertreter der Muslime begrüßten die Entscheidung. Kritik äußerte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), und Lehrerverbänden.
In seiner am Freitag veröffentlichten Entscheidung gab das Gericht der Klage zweier Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen Recht, die im Unterricht aus Glaubensgründen ein Kopftuch beziehungsweise ersatzweise eine Mütze tragen wollten. Der Erste Senat erklärte ein Kopftuchverbot mit sechs zu zwei Stimmen für verfassungswidrig, da es die Religionsfreiheit der Musliminnen verletze. (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10)
Karlsruhe distanzierte sich damit in Teilen von seiner 2003 gefällten ersten Entscheidung, die den Ländern das Recht zuschrieb, durch Schulgesetze Kopftuchverbote zu erlassen. Die Richter erläuterten, ein Verbot sei nur dann möglich, wenn das Tragen der Kopfbedeckung zu einer konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führen könnte.
Zugleich wandte sich das Verfassungsgericht gegen ein "Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen". Zudem verbiete sich die pauschale Schlussfolgerung, dass die Trägerin eines Kopftuchs ein Zeichen gegen Gleichberechtigung oder für eine Einschränkung der Freiheitsgrundrechte setze.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) begrüßte die Entscheidung. Die Länder müssten nun ihre Schulgesetze überprüfen. Auch NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) kündigte an, die Landesregierung wolle so bald wie möglich Konsequenzen ziehen.
Die katholischen Bischöfe sprachen von einem "starken Signal für die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit". Das Gericht bestätige damit, dass das religiöse Bekenntnis einen legitimen Platz im öffentlichen Raum habe.
Die SPD-Kirchenbeauftragte Kerstin Griese sieht eine Stärkung der religiösen Vielfalt. "Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland", sagte sie. Auch der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sprach von einem guten Tag für die Religionsfreiheit.
Nach Darstellung des Deutschen Instituts für Menschenrechte stärkt der Richterspruch insbesondere das Recht muslimischer Frauen auf diskriminierungsfreien Zugang zum Beruf. Er öffne damit auch den Raum, um religiöse Pluralität in der Schule einzuüben.
Der Zentralrat der Muslime zeigte sich ebenfalls zufrieden. "Es ist ein richtiger Schritt, weil es die Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen würdigt und sie als gleichberechtigte Staatsbürger am gesellschaftlichen Leben teilhaben lässt", erklärte Generalsekretärin Nurhan Soykan. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verwies darauf, dass Kopftuchverbote auch negative Auswirkungen für kopftuchtragende Musliminnen in der Privatwirtschaft haben könnten.
Kritik kam von CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Das Tragen eines Kopftuches als Lehrkraft sei "nicht nur Ausdruck der persönlichen religiösen Überzeugung, sondern ein bewusstes Zeichen der Abgrenzung zur kulturellen Tradition Deutschlands", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das verstoße gegen die Neutralitätspflichten von Beamten. Der Chef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, kritisierte eine "Rolle rückwärts". Der Deutsche Philologenverband befürchtet mehr Konflikte in den Schulen; die geltende Regelung habe sich bewährt.
(KNA - pknln-89-00144)
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