Kirchenvertreter sehen eine düstere Zukunft für Christen im Irak
KNA 01.04.2015
Von Burkhard Jürgens (KNA)
Erbil (KNA) Weltweit bereiten sich Christen auf die Feier des Leidens und Sterbens Jesu vor - da lenkt der Vatikan seinen Blick erneut auf den Irak. Dieser Tage ist Kurienkardinal Fernando Filoni auf Besuch in Jordanien, in Bagdad und den Kurdengebieten, wieder einmal seit August 2014. Filoni kennt die Region. 2003, als Vatikanbotschafter im Irak, harrte er nach der US-Invasion als einziger ausländischer Diplomat in Bagdad aus. Diesmal stehen die letzten christlichen Stützpunkte auf dem Spiel. Der assyrische Archimandrit Emanuel Youkhana in Erbil, Leiter des christlichen Hilfswerks CAPNI, sagt es drastisch: "Wir leben in der letzten Minute. Das ist die unbequeme Wahrheit." Gab es in den 90er-Jahren vielleicht 1,5 Millionen Christen im Irak, so sind es nach seinen Angaben jetzt noch 350.000, vielleicht weniger. "Und die Zeichen an der Basis sprechen nicht für uns." Was die Vertreibung durch die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) von früheren Auswanderungen unterscheidet, sind Umfang, Dauer und Umstände: Erstmals, so Youkhana, fand ein "Massenexodus" von Hunderttausenden statt. Denen, die im Irak in andere Städte flohen, schwindet nach neun Monaten in Flüchtlingscamps immer stärker die Hoffnung auf Heimkehr. Die schwerste Hypothek ist aber das Gefühl vieler Christen, von ehemaligen Nachbarn verraten worden zu sein. Flüchtlinge aus der Region Mossul plagt dieser Gedanke wie eine offene Wunde. Die meisten Sunniten hätten sich stracks auf die Seite der IS-Milizen geschlagen, sagt Nabil Hanuna, ein Exilierter in Sulaimaniyya. Es kursieren Geschichten von Nachbarn, die gerade verlassene Häuser plünderten. Der 57-jährige Hanuna beteuert, die Ninive-Ebene bleibe für ihn "heiliges Land". Aber eine Rückkehr kann er sich "nur mit internationalem Schutz" vorstellen. "Das Vertrauen ist dahin", sagt Youkhana. Schwerer noch als die Flucht vor dem IS wäre "die Rückkehr in ein Land, in dem unsere Angehörigen ermordet und begraben wurden". Geblieben ist Bitterkeit: "Wir waren Lügner, unser Patriarch, die Bischöfe, ich selbst, wenn wir sagten: Wir leben mit den Muslimen in Frieden. Es stimmt nicht, seit 14 Jahrhunderten nicht." Soziologisch sind Christen im Irak in einer doppelt schwachen Position: Ihr Bevölkerungsanteil beträgt wenige Prozent, und sie repräsentieren keine geschlossene ethnische Gruppe - ironischerweise eine Folge der Verwurzelung des Christentums seit biblischer Zeit. Das führt dazu, dass Christen wie andere Minderheiten zwischen die Mahlsteine der Machtpolitik geraten. "Kurden erträumen ein Kurdistan, Schiiten ein Schiistan, Sunniten ein Sunnistan - nur Christen und Kommunisten wollen den Irak retten", sagt der chaldäische Erzbischof von Kirkuk, Yousif Mirkis. Dass Christen im Land bleiben müssen, ist für ihn nicht nur eine Sache von Beheimatung, sondern auch eine "patriotische Frage". Mirkis sieht den Irak am Scheideweg zwischen dem Modell Europa und dem Gespenst Jugoslawien - einer Einheit in Verschiedenheit oder dem politischen Zerfall mit nachfolgenden Bruderkriegen. Dabei könnten Christen die entscheidende kreative Minderheit sein, die auf ein Bürgerbewusstsein oberhalb von Religion und Ethnien hinarbeitet, sagt der Bischof. Sein Wappenspruch lautet: "Fürchte dich nicht, du kleine Herde." Entscheidend wird sein, ob sich in den verschiedenen Gruppen im Irak ein gemäßigter Umgang mit Nationalismus und Religion durchsetzt - schließlich hätten auch "die Geisteswissenschaften Europa gerettet", sagt Mirkis, Mitglied des Dominikanerordens. "Wenn du dich auf Leute verlässt, die Fatwas machen, bist du in der Hölle." Doch woher soll das Rettende im Islam kommen? Eine Entwicklung wie in Europa seit der Renaissance ließe sich im Irak "nicht in drei-vier Jahren machen", so Mirkis. Die anderthalb Milliarden anderen Muslime weltweit könnten helfen, vor allem die aus Europa. Die christlichen Schulen im Land können an der Vermittlung demokratischer Werte mitarbeiten - wenn man sie lässt. Erzbischof Mirkis räumt ein, er müsse "die Batterien der Hoffnung jede Nacht neu laden". Sein assyrischer Mitstreiter Youkhana sagt: "Wir predigen noch den Gläubigen: Betet nicht darum, dass euer Kreuz leichter wird, sondern dass eure Schultern stärker werden. - Aber ich verliere die Hoffnung."
(KNA - pknnl-89-00114)
Auf unserer Hauptseite finden Sie weitere Informationen zu den Themen interreligiöser Dialog und christlich islamischer Dialog.