Wissenschaftlerin untersucht Botschaft des "Islamischen Staats"
KNA 17.07.2015
Von Paula Konersmann (KNA)
Bonn (KNA) Mit neun Jahren sollte eine Frau heiraten - bevor sie manipuliert werden kann. Das ist nur ein Beispiel für die kruden Vorschriften, die in dem Manifest "Die Frau im Islamischen Staat" festgehalten sind. Verfasst wurde das programmatische Schriftstück von der Khanssaa-Brigade, einer Art weiblichen Scharia-Polizei. Nun erscheint die erste deutsche Übersetzung, kommentiert von der muslimischen Theologin Hamedih Mohagheghi. Das Manifest sei ein "Dokument der Verachtung", konstatiert die Paderborner Wissenschaftlerin.
Mohagheghi geht es gleichwohl nicht um reflexartige Urteile, sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Zunächst attestiert sie der Terrormiliz eine enorme Feindlichkeit gegenüber Forschung und Wissenschaft. So verunglimpfen die Verfasserinnen muslimische Gelehrte wie Avicenna als "Ketzer". Der IS wolle offensichtlich zur Unmündigkeit verleiten, folgert Mohagheghi. Zudem weise das Manifest innere Widersprüche auf, wenn die Urheber einerseits gegen den Fortschritt wetterten, zugleich aber bekannt sei, dass sie selbst sich modernster Medien bedienten.
Wenn die Islamisten zudem Dürren, Hungersnot oder Naturkatastrophen als göttliche Strafen beschreiben, mag das auf den ersten Blick mittelalterlich erscheinen. Doch diese Gottesvorstellung stehe in engem Zusammenhang mit den Gräueltaten der Terroristen, erklärt die Expertin. "Wenn Gott den Westen und mit ihm zusammenarbeitende muslimische Staaten bestraft, so ist der Gedanke nicht weit, dass der echte Muslim, so wie ihn der IS definiert, sich als Diener Gottes zu seinem Werkzeug der Rache macht."
Eine ähnliche perfide Schein-Logik konstruiert das Manifest im Hinblick auf die Rolle der Frau. Die "Soldaten des Iblis", der in etwa das muslimische Pendant zum Teufel ist, wiederholten die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, heißt es darin: Wie der Mensch jenseits von Eden leiden und sich anstrengen muss, so werde die Frau im Westen zur Qual der Erwerbstätigkeit getrieben. Frauen studierten, weigerten sich zu heiraten - die demografischen und gesellschaftlichen Folgeprobleme seien bekannt. Die intellektuelle Schlichtheit sei ein Erfolgsgeheimnis der IS-Propaganda, erklärt Mohagheghi.
Einerseits werde nahegelegt, der IS allein wolle und könne die Frauen zurück ins Paradies bringen, schreibt sie. Zugleich biete die Miliz unzufriedenen Muslimen im Westen eine Ausflucht. "Die Verlierer des Diesseits werden so zu Gewinnern des Jenseits erklärt." Das wirke auf junge Menschen, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt seien, besonders reizvoll.
Speziell jungen Frauen werde das Leben als Hausfrau und Mutter an der Seite eines heldenhaften Kämpfers schmackhaft gemacht. "Der unterschwellige Appell ist klar: Im Westen könnt ihr Frauen nicht so sein, wie ihr sollt. Aber es gibt einen Ort, an dem es noch echte Männer gibt, und das ist der 'Islamische Staat'", so fasst Mohagheghi die Botschaft zusammen. Auch sähen sich nicht wenige der ausreisenden Mädchen aus westlichen Ländern als Entwicklungshelferinnen oder Krankenschwestern. Die triste Realität im "Islamischen Staat" konterkariere indes beide Vorstellungen.
Neben diesen Analysen vermittelt Mohagheghi viel Hintergrundwissen. Sie erläutert zentrale Begriffe wie "Kalifat" oder "Dschihad" und appelliert sowohl an die westlichen als auch die muslimischen Gesellschaften, "mutigen und nachhaltigen Widerstand" zu leisten. Dafür brauche es religiöse Bildung ebenso wie die Bereitschaft, sich gegenseitig ernst zu nehmen, so ihr Plädoyer.
Bereits im Vorwort betont Mohagheghi, sie wolle es sich nicht leicht machen und oft zitierte Floskeln meiden. So sei es schwer zu behaupten, islamistischer Terror habe nichts mit dem Islam zu tun. Doch die radikalen muslimischen Erscheinungen aus dem Irak, Nigeria oder Somalia, die die Medien dominierten, verdrängten das wahre Gesicht des Islam, so die Theologin: Sie verzerrten die Weltreligion zu einer "gewalttätigen Fratze".
(KNA - pkrln-89-00049)
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