Das Bedürfnis nach Rache - eine Spurensuche aus aktuellem Anlass
KNA 03.02.2015
Von Paula Konersmann (KNA)
Bonn (KNA) "Jordanien nimmt Rache", lautete Mittwoch eine der Hauptnachrichten. Das Blut des jordanischen Piloten, der von Terroristen des Islamischen Staats (IS) ermordet worden war, sei nicht umsonst geflossen, so die Armee des Königreichs. Zwei verurteilte Dschihadisten wurden hingerich-tet; die Rache solle dem "Ausmaß des Schmerzes" entsprechen, den Jordanien erlitten habe. Dasklingt nach einem häufig zitierten Bibelwort: "Auge für Auge, Zahn für Zahn". Und das wiederum ist nicht der einzige Beleg dafür, dass die Rache so alt ist wie die Menschheit selbst.
Im Alten Testament wird Gott selbst als "eifernder und rächender Gott" beschrieben. Der Rechtsspruch "Auge für Auge, Zahn für Zahn" wird heute häufig als Aufforderung interpretiert, jemandem eine Untat heimzuzahlen. Nach Lesart von Theologen zielte er jedoch im Gegenteil darauf ab, nicht mehr Schadenersatz fordern zu können als das, was einem genommen wurde. Konkret: Wem ein Auge ausgestochen wurde, der durfte dem Täter nicht zwei Augen ausstechen - zur damaligen Zeit ein rechtlicher Fortschritt.
Das Neue Testament untersagte Rache explizit, etwa wenn, wie der Evangelist Matthäus berichtet, Jesus seinen Jüngern aufträgt, ihrem Bruder eine unrechte Handlung 77 Mal zu verzeihen. Eine revolutionäre Botschaft in einer von Griechen und Römern geprägten Gesellschaft, in denen Selbstjustiz zum Alltag gehörte, wenn sie nicht von staatlicher Seite eingeschränkt wurde. Der Name der griechischen Rachegöttin Nemesis steht noch heute synonym für Erzrivalen; im alten Rom konnte die heilige Pflicht zur Rache vererbt werden. So dauerten manche Familienfehden über Generationen an.
Diese Form von Blutrache ist nicht ausgestorben. In manchen Gegenden Albaniens regelt bis heute der Verhaltenskodex Kanun, dass etwa nach einem Mord an einem Familienmitglied die Ehre wiederhergestellt werden muss, wenn die Familie des Mörders ebenfalls einen Blutzoll bezahlt. Einen solchen Strudel aus Gewalt und Gegengewalt befürchten Beobachter nun auch zwischen dem IS und seinen Gegnern. Jordanien beteiligt sich am militärischen Kampf gegen die Terroristen, die im benachbarten Syrien und Irak ihr Unwesen treiben. Nun könnte das Land erst recht in ihr Visier geraten.
"Die Reaktion Jordaniens war nachvollziehbar, aber nicht weise", sagt der Psychologe Peter Groß. Das sei bei Rache auch in kleinerem Maßstab meist der Fall, meint der Kölner Experte und verweist auf die Frau, die das Auto ihres untreuen Ehemanns mit dem Vorschlaghammer demoliert. Der Impuls, ein Unrecht zu rächen, gehört seiner Ansicht nach zur biologischen Grundausstattung des Menschen und hat durchaus eine sinnvolle Funktion: Wer angegriffen wird, kann sich retten und sich durch einen Gegenangriff Respekt verschaffen. Und selbst wenn der eigene Schaden nicht rückgän-gig zu machen ist, signalisiert das Großhirn nach einem Racheakt, dass nun die Gerechtigkeit wiederhergestellt sei. Rache ist süß, sagt der Volksmund.
Diese Erkenntnis hat Literaten aller Epochen inspiriert. Kriemhilds Rache für die Ermordung ihres Gatten Siegfried im "Nibelungenlied" ist ein frühes grausiges Beispiel dafür; in Friedrich Dürrenmatts Drama "Der Besuch der alten Dame" rächt sich die Titelfigur für eine lange zurückliegende Demütigung. Die Dichter befassen sich auch mit den komplexen Folgen, die ein Rachefeldzug haben kann; so entschließt sich Shakespeares Hamlet nur unter größten Zögern, den Tod seines Vaters zu rächen. Dass Geschichten um Rache und Vergeltung die Menschen faszinieren, belegen bis heute auch Kinoerfolge, etwa der Comic-Verfilmung "V wie Vendetta".
Dennoch: Durch die Entwicklung des menschlichen Gehirns bestehe die Möglichkeit, anders als bei Tieren, ersten Impulsen nicht sofort nachzugeben, sagt Psychologe Groß. Was in der Psychologie die Achtsamkeit ist, das Bewusstmachen der eigenen Emotionen, werde durch die Gruppenweisheit in einer Demokratie begünstigt, meint er: "Parlamentarische Debatten tragen dazu bei, emotionalen Reaktionen zu bremsen." Denn, so schrieb schon Friedrich Schiller: "Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie die fürchterlichste Nahrung."
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