Boko Haram schürt das Misstrauen zwischen Muslimen und Christen
KNA 28.08.2015
Von Katrin Gänsler (KNA)
Abuja (KNA) Im Norden Nigerias reißt die Welle der Gewalt nicht ab. Derzeit nutzt die Terrorgruppe Boko Haram dafür wieder ihre perfideste Strategie: Junge Frauen, die von den Terroristen entführt wurden, werden zu Selbstmordattentäterinnen ausgebildet und in den Tod geschickt. Das Druckmittel: Wer nicht gehorcht, muss damit rechnen, dass die ganze Familie umgebracht wird.
Anfang der Woche starben bei einem Anschlag in der Stadt Damaturu (Bundesstaat Yobe) mindestens sechs Menschen, Dutzende wurden verletzt. Zu einem Doppelanschlag kam es einen Tag später in Maiduguri, der Provinzhauptstadt von Borno. Keine Region ist so gezeichnet vom Terror wie die Städte und Dörfer im äußersten Nordosten.
Helfen soll nun wieder mal die internationale Eingreiftruppe "Multinational Joint Task Force" (MNJTF). Sie ist zwar schon seit Monaten Thema. Doch laut Generalstabschef Gabriel Olonisakin wird der Einsatz aller 8.700 Soldaten, die außer aus Nigeria aus den Nachbarländern Niger, Tschad, Kamerun und Benin stammen, nun weiter vorangetrieben. Das verkündete er zumindest Mitte der Woche bei einem Treffen mit Verteidigungsexperten im Tschad.
Laut Beobachtern in Nigeria werden tiefergehende Aspekte aber weiterhin ausgeblendet. Ein militärischer Sieg sei nur ein Anfang im Kampf gegen die Terroristen, der längst nicht alle Probleme lösen könne. "Die Gräben zwischen Menschen, die verschiedenen ethnischen Gruppen und Religionen angehören, sind noch tiefer geworden", sagt Sani Suleiman, Experte für den interreligiösen Dialog. Der Mitarbeiter der nichtstaatlichen Organisation "Mercy Corps" berichtet, die Menschen würden immer misstrauischer.
Als besonders problematisch sieht er die Hassparolen von Boko Haram. "Bei Nicht-Muslimen entsteht der Eindruck, dass die Gruppe das im Namen der Muslime macht. Für Außenstehende ist es sehr schwierig zu verstehen, dass die Gruppe natürlich nicht die Masse der nigerianischen Muslime repräsentiert", so Suleiman.
Misstrauen erlebt auch der katholische Priester Maurice Kwairanga, Koordinator des Komitees für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) in der Provinzhauptstadt Yola, fast täglich bei seiner Arbeit. Er betreut die Flüchtlingslager der Kirche. In Gesprächen erfahre er oft, wie zurückhaltend Christen gegenüber Muslimen geworden seien. Dabei galt gerade der Vielvölker-Bundesstaat Adamawa an der Grenze zu Kamerun stets als sehr liberal. Anders als etwa in Kaduna ging es nie darum, welche ethnische Gruppe oder Religion gerade vorherrsche.
In Regionen, die noch vor wenigen Monaten von den Terroristen besetzt waren, heißt es nun aber oft: Die Muslime haben sich Boko Haram angeschlossen. Schließlich blieben Moscheen und Häuser von Muslimen nach Einschätzung vieler Christen meist verschont. Die Muslime halten dagegen, sie litten genauso unter der Terrormiliz. Anschläge auf Busbahnhöfe, militärische Checkpoints oder wie jüngst im Ramadan auf Moscheen belegten dies.
Trotz allem hält Kwairanga ein friedliches Zusammenleben weiter für möglich. Dafür dürften aber weder Christen noch Muslime nicht den Fehler machen, den jeweils anderen abschätzig anzuschauen. Nach seiner Meinung braucht es dringend Vermittlungsgespräche - nicht erst, wenn die Menschen wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt seien, sondern bereits in den Flüchtlingslagern. "Sonst sitzen wir auf einer tickenden Bombe."
Allerdings: Vermittlung wird immer schwieriger, je länger Boko Haram Anschläge verübt. Erst in der vergangenen Woche teilte die staatliche Nothilfeagentur Nema mit, dass sich 22 Terroristen in Adamawa in ein Camp für Binnenflüchtlinge gemischt hätten. Nicht der erste Fall dieser Art.
(KNA - pksms-89-00093)
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