Ein Imam und ein Erzbischof kämpfen für Frieden in Zentralafrika
KNA 01.09.2015
Von Joachim Heinz (KNA)
Aachen (KNA) Seit Ende 20120 wird die Zentralafrikanische Republik immer wider von Kämpfen erschüttert. Die Krise hat den katholischen Erzbischof von Bangui, Dieudonne Nzapalainga (48), und den Präsident des Islamischen Rates der Zentralafrikanischen Republik, Oumar Kobine Layama (55), zusammengeschweißt. Für ihr Engagement bekamen sie jetzt den Aachener Friedenspreis. Was sie in dunklen Stunden am Leben gehalten hat, erzählen beide im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
KNA: Imam Layama, kann man sagen, dass Sie Erzbischof Nzapalainga das Leben verdanken?
Layama: Als sich in meiner Heimat, der Zentralafrikanischen Republik, die Kämpfe zwischen christlichen und muslimischen Rebellengruppen zuspitzten, habe ich dem Erzbischof erzählt, dass ich mich in einer schwierigen Situation befinde. Ich lebte in einem Viertel, das sich fest in der Hand der christlichen Milizen von der Anti-Balaka befand. Wir haben uns getroffen, um über die Zukunft unseres Landes zu beraten. Das war am 5. Dezember 2013. Am Ende dieses Treffens hat er mich dann gefragt, ob ich nicht zu ihm kommen wolle. Er sagte: "Bei mir ist Platz. Wir können zusammenbleiben und uns darum kümmern, die Lage zu verbessern."
KNA: Sie haben das Angebot angenommen.
Layama: Mit offenen Armen. Zusammen mit meiner Familie und rund 10.000 anderen Menschen, Christen wie Muslimen, haben wir Zuflucht am Sitz des Erzbischofs gefunden. Wir waren dort willkommen. Den Journalisten habe ich immer gesagt: "Ich bin weder Flüchtling noch Binnenvertriebener - ich bin bei mir zuhause." Dieudonne Nzapalainga hat mir Mut und Zuversicht vermittelt - und mich ermuntert, mich noch stärker für unsere Mitbürger zu engagieren, auf dass unsere Gesellschaft nicht in Stücke gerissen wird, wie das einige Politiker wohl gewünscht haben.
KNA: Herr Erzbischof, wie gut haben Sie den Imam zu diesem Zeitpunkt gekannt?
Nzapalainga: Vor der Krise haben wir, sagen wir mal, auf einer eher theoretischen Ebene zusammengearbeitet. Jetzt ging es um existenzielle Fragen. Der Imam war fünf Monate bei mir; wir saßen an einem Tisch. Wir haben geredet, wir haben die Sorgen und Nöte des anderen kennengelernt. Wir haben gelernt, uns gegenseitig zu respektieren - auch die Unterschiede. Das steht nicht in irgendwelchen Büchern; das geschieht im praktischen Leben, am gemeinsamen Tisch.
KNA: Daraus ist eine gemeinsame Arbeit entstanden, an der sich auch Nicolas Geurekoyame-Gbangou, der Präsident der Evangelischen Allianz, beteiligt. Was tun Sie konkret?
Layama: Wir sind nicht nur in Bangui, der Hauptstadt geblieben, sondern haben uns auf den Weg gemacht. Während der schwierigen Monate, wo unserer Regierung und auch die lokalen Autoritäten praktisch nicht mehr existierten, haben wir es als unsere Aufgabe angesehen, unsere Mitbürger zur Einheit aufzurufen. Wir haben sogar Kontakt zu den bewaffneten Gruppen aufgenommen, um dort unsere Botschaft zu verbreiten: "Die Staatsmacht mag zusammengebrochen sein, aber eure Aufgabe ist es jetzt, die Bevölkerung zu schützen und sie nicht als Geisel für eure eigenen Ziele zu missbrauchen."
KNA: Hatten Sie nie Angst?
Nzapalinga: Wenn man das Risiko eingeht, Menschen zu retten, kann man sein eigenes Leben verlieren. Aber wir lassen uns nicht aufhalten. Ich trage den Vornamen Dieudonne, das heißt, mein Leben ist schon "vergeben" - ich habe nichts zu befürchten. Wenn mein Tag gekommen ist, werde ich mein Leben in die Hand Gottes zurückgeben. Bis dahin erfülle ich den Dienst, den Gott von mir verlangt: da zu sein für meine Brüder.
KNA: Aber stoßen Sie als Kirchenmann mit Ihrem Engagement nicht schnell an Grenzen? Immer wieder war im Zusammenhang mit dem Konflikt in ihrer Heimat von einer Art Religionskrieg zu lesen.
Nzapalainga: Das ist völliger Unsinn. Es geht es nicht um Religion, sondern um einen militärisch-politischen Konflikt, um Macht und Rohstoffe. Zu Beginn haben die Rebellen konkrete Forderungen gestellt. Aber da war nirgends die Rede von Gott. Den Aufstand hat weder ein Pastor noch ein Imam oder ein Priester angeführt. Der Bezugspunkt für diese Menschen ist weder der Koran noch die Bibel. Die Milizen der Seleka und die Anti-Balaka tragen Amulette. Ich trage das Kreuz. Wir beide, der Imam und ich, haben mit diesen Radikalen nichts zu tun. Wir haben uns niemals gegenseitig den Krieg erklärt.
Layama: Meist radikalisieren sich die Menschen, weil ihr Glaube schwach ist.
KNA: Trotzdem: Gibt es nicht beispielsweise im Islam fundamentalistische Tendenzen, die möglicherweise auch durch Geldgeber von außerhalb unterstützt werden, etwa aus den Golfstaaten?
Layama: Nein, solche Tendenzen kann ich nicht erkennen. Es mag Momente gegeben haben, wo Extremisten in unserem Land islamistischen Terroristen wie Boko Haram die Hand gereicht haben - was diese ihrerseits dazu brachte, mit Attentaten in der Zentralafrikanischen Republik zu drohen. Aber: Wo wollen die denn ihre Bomben abwerfen? In die Kirchen, wo Muslime geschützt werden? Auf den Märkten, wo Christen bei Muslimen ihre Lebensmittel einkaufen? Es gibt keinen Platz für diese Bomben in Zentralafrika.
KNA: Wer ist denn dann verantwortlich für die Krise?
Nzapalainga: Unsere Bevölkerung besteht zu 65 Prozent aus jungen Menschen. Viele von ihnen gehen nicht zur Schule. Man hat das Bildungswesen verkommen lassen. Die Regierung hat ganze Gebiete aufgegeben; die Menschen hatten keine Hoffnung mehr. Jene, die an der Macht waren, haben sich immer nur um ihre Familie, ihre Ethnie, ihre Region gekümmert und die anderen vergessen. Das ist die Brutstätte für Ungerechtigkeit.
Layama: Dann gehen diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, in die Opposition, revoltieren - und der Hass kommt wie von selbst. Die Gegner werden zu Tieren erklärt, die man vernichten muss. Oder die Menschen fliehen.
KNA: Unter anderem nach Europa.
Nzapalainga: Dort, so meinen die Leute, herrschen Frieden und Ruhe. Man überlässt das Kriegführen in der Heimat denen, die das wollen.
Layama: Dabei ist Afrika so reich an Bodenschätzen. Man muss den Afrikanern helfen, von diesen Schätzen zu profitieren, sie zu teilen. Nur so lässt sich der Exodus aufhalten.
KNA: Die Lage in der Zentralafrikanischen Republik bleibt einstweilen instabil. Was gibt Ihnen Hoffnung?
Layama: Mehr und mehr Menschen haben wieder eine Vision, wie unser Land künftig aussehen soll.
KNA: Und die Wahlen, die am 18. Oktober stattfinden sollen?
Nzapalainga: Ach, Wahlen. Wir haben in der Vergangenheit schon viele Wahlen gehabt. Die Resultate sind bekannt. Hoffnungszeichen sind für mich eher, dass in einigen Gegenden unseres Lanes nicht mehr geschossen wird; dass Leute wieder auf den Markt gehen; dass sie anfangen, offen über Politik zu sprechen. Und dann will uns im November Papst Franziskus besuchen.
KNA: Was versprechen Sie sich davon?
Nzapalainga: Wir hoffen, dass dieser Mann des Friedens, der die Ideale von Armut und Einfachheit vorlebt, die Zentralafrikaner dazu bringen kann, sich wieder zusammenzutun.
KNA: International haben Sie bereits Resonanz auf Ihre Arbeit bekommen, etwa mit der Verleihung des Aachener Friedenspreises. Worin soll der von Ihnen angestoßene Dialog münden - was wäre Ihr Traum?
Nzapalainga: Wir haben viele Organisationen, die uns unterstützen, wie zum Beispiel missio. Sie zeigen, dass sie unsere Arbeit anerkennen. Mein Traum wäre, ein neues Miteinander zu begründen, wo alle Religionen ihren Platz haben, wo man sich gegenseitig gastlich aufnimmt und miteinander lebt. In der Spätantike wurde das Wort Religion von "religare" abgeleitet, was soviel heißt wie "miteinander in Verbindung treten" - mit meinen muslimischen Bruder, meinem protestantischen Bruder.
KNA: Ein fast schon romantischer Gedanke.
Nzapalainga: Es gibt dieses unsichtbare Band, mit dem wir alle an Gott gebunden sind: durch das Gebet. Nichts anderes machen wir im Alltag der jeweiligen Religion. Meine feste Überzeugung ist: Wenn wir diesen Weg wieder gehen, geht es wieder aufwärts mit Zentralafrika.
(KNA - pktkl-89-00155)
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