Bundestag gedenkt am Freitag des Völkermords an den Armeniern
KNA 21.04.2015
Von Christoph Arens (KNA)
Berlin (KNA) Am Freitag gedenkt der Bundestag des Massenmords an den Armeniern im Osmanischen Reich vor genau 100 Jahren. Bereits am Donnerstagabend wollen die Kirchen in einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom an die Ereignisse erinnern. Im Anschluss daran soll Bundespräsident Joachim Gauck sprechen.
Es geht nicht allein um den Blick zurück. Das Gedenken an den Tod von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Schatten des Ersten Weltkriegs ist politisch hoch aufgeladen: Es geht um die Frage, wie weit Deutschland die Ereignisse als Völkermord bezeichnet. Und damit um die Frage, wie stabil das deutsch-türkische Verhältnis heute ist. Außerdem geht es um deutsche Geschichtspolitik, denn das Deutsche Kaiserreich hat dem Morden tatenlos zugesehen und es gedeckt, um die Türkei als Bündnispartner im Krieg zu halten.
Es ist ein Streit um ein Wort, das böse V-Wort: Wird der Bundestag, wie mehr als 20 andere Staaten, das Europaparlament und der Papst den Begriff "Völkermord" offiziell in den Mund nehmen? Oder werden Bundesregierung und Parlament vor dem türkischen Druck kuschen? Die Regierung in Ankara hatte jüngst bei entsprechenden Äußerungen von Papst Franziskus gezeigt, wie empfindlich sie reagiert.
Schon 2005 hatte der Bundestag den Begriff aus Sorge um das deutsch-türkische Verhältnis aus einem Antrag gestrichen und in die Begründung verbannt. Auch diesmal wollten die Regierungsfraktionen die Massaker an den Armeniern nicht als Völkermord bezeichnen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich besorgt, dass eine immer hitzigere Debatte den Beginn eines ernsthaften Dialogs zwischen Türken und Armeniern "erschweren oder gar unmöglich machen" könnte.
Doch in den vergangenen Tagen veränderten sich die Vorzeichen: Zahlreiche Abgeordnete aus den Reihen von Union und SPD forderten eine mutigere Haltung des Bundestags. Und der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Franz-Josef Jung (CDU) deutete an, dass auch Bundespräsident Gauck am Donnerstagabend den Begriff Völkermord verwenden werde - eine Vermutung, die angesichts der bisherigen Linie Gaucks sehr wahrscheinlich ist. Es drohte eine Kluft zwischen Bundespräsident, Bundesregierung und Bundestag.
Schließlich verständigten sich die Fraktionen von Union und SPD am Montag auf einen Antrag, der den Völkermord an den Armeniern beim Namen nennt, den Begriff allerdings diplomatisch geschickt verpackt und ihn als Beispiel für die Völkermorde des 20. Jahrhunderts anführt: "Im Auftrag des damaligen jungtürkischen Regimes begann am 24. April 1915 im osmanischen Konstantinopel die planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier", heißt es in dem Text. "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist."
Offenbar gab es im Vorfeld intensive Verhandlungen zwischen Bundesregierung, Bundespräsidialamt und Außenministerium. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, die Bundesregierung stehe hinter dem Antrag. Außenamtssprecher Martin Schäfer betonte, dass der Text mit dem Außenminister abgestimmt worden sei. Ebenso habe es einen Austausch mit dem Bundespräsidialamt gegeben.
Ob das Gedenken zu Spannungen mit Ankara oder zu Protesten der in Deutschland lebenden Türken führen wird, bleibt offen. Mittlerweile kommen allerdings aus der Türkei deutliche Entspannungssignale: Am Montag ging die türkische Regierung einen Schritt auf die Armenier zu. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu fand Worte des Bedauerns. "Wir teilen den Schmerz der Kinder und Enkelkinder der Armenier, die ihr Leben bei Deportationen 1915 verloren."
Und der türkische Regierungssprecher Bülent Arinc wies am Dienstag erstmals den Begriff des Völkermords nicht mehr generell zurück. Zwar wisse die Türkei, dass es im Osmanischen Reich bei "Maßnahmen" gegen armenische Aufständische eine "Tragödie" gegeben habe, sagte Arinc. "Aber wir haben nicht wissentlich, vorsätzlich und absichtlich einen Völkermord begangen."
(KNA - pkoml-89-00100)
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