Kirche in Not über die Flüchtlingshilfe im Irak
KNA 10.02.2015
Von Claudia Zeisel (KNA)
München (KNA) Viele Flüchtlinge im Nordirak haben die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat-orte verloren. Dort regiert nach wie vor die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Kirche-in-Not-Geschäftsführerin Karin Maria Fenbert besuchte Anfang Februar den Nordirak und machte sich ein Bild von der Lage der Christen. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach sie über die Stimmung bei den Bischöfen und Langzeitperspektiven für die Kirche im Nordirak.
KNA: Frau Fenbert, Sie kommen gerade aus dem Irak zurück. Wie haben Sie die Lage der Flüchtlinge in diesem Winter erlebt?
Fenbert: Mittlerweile wissen die Flüchtlinge, dass die Aussichten auf eine Rückkehr sehr schlecht sind. Zugleich hat sich die Situation der Unterkünfte verbessert. In Erbil wohnen nur noch wenige Menschen in Zelten. Auch die Qualität der Zelte hat sich verbessert. Noch immer leben Flüchtlinge auch in öffentlichen Schulen. Für sie muss noch dringend eine andere Unterkunft gefunden werden. Kirche in Not hat etwa die Errichtung von Wohncontainern und die Mieten für Wohnraum finanziert. Das Problem in Erbil ist, dass die Mieten sehr hoch sind. Sie kosten umgerechnet rund 707 Euro im Monat, ein Arbeitnehmer verdient aber im Durchschnitt nur rund 442 Euro.
KNA: Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Mossul, Emil Shimoun Nona, hat mittlerweile seinen Posten geräumt. Wie waren die Reaktionen darauf?
Fenbert: Wir haben Erzbischof Nona noch in Erbil angetroffen, der auf sein Visum wartet und bürokratische Arbeiten erledigt. Die Stimmung bei Nona und dem chaldäisch-katholischen Erzbischof von Erbil, Baschar Warda, ist deutlich schlechter als in Kirkuk. Das mag auch daran liegen, dass Erbil viel mehr christliche Flüchtlinge hat als Kirkuk. Warda betonte, dass die Flüchtlingskrise die Kirche überwältigt hat. Im Theologiestudium lerne man kein Krisenmanagement. Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften in Erbil hängt von den Managerqualitäten der einzelnen Priester ab. Sie müssen als so etwas wie Bürgermeister fungieren. Da braucht es ein gewisses Naturtalent.
KNA: Wie ist die Stimmung in Kirkuk?
Fenbert: Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk, Yousif Thomas Mirkis, geht von einer relativen Sicherheit in der Stadt aus. Deshalb plant er, dort eine Siedlung für christliche Flüchtlinge aufzubauen. Seit Juli sind dort um die 400.000 Flüchtlinge eingetroffen, davon etwa 11 Prozent Christen. Die Kirche hilft Angehörigen aller Religionen und versucht, Langzeitperspektiven zu schaffen. Die Menschen könnten etwa Arbeit finden in der Erdölindustrie und früheres bewaffnetes Wachpersonal aus Mossul soll nun vor Kirchen in Kirkuk eingesetzt werden.
KNA: Wie kann man die Kirchenleute von außen unterstützten?
Fenbert: Wir müssen weiterhin als starker Partner an deren Seite bleiben. Allein die Mieten müssen dort wohl noch eine Weile finanziert werden. Die größte Herausforderung aber wird sein, die Leute dazu anzuhalten, wieder Eigeninitiative zu ergreifen. Bei Flüchtlingen, die seit Monaten alle Hilfe von der Kirche bekommen - von der Nahrung bis hin zur Unterkunft - ist die Gefahr groß, dass sie die Fähigkeit verlieren, selbstständig zu leben. Neben dem Bau von christlichen Siedlungen auf kircheneigenem Grund muss auch der Schulbau vorangetrieben werden. In Erbil ist bereits die zweite Schule fertig, bis Mai sollen drei noch weitere Schulgebäude fertig werden.
KNA: Wie sieht es an den Universitäten aus?
Fenbert: Unter den Flüchtlingen gibt es Studenten, die entweder nur Kurdisch oder nur Arabisch sprechen. Deshalb gibt es nun einen Austausch zwischen Erbil, das ja Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete ist, und Kirkuk, das auf irakischem Gebiet liegt. Manche Studenten, die in Erbil gelandet sind und nur Arabisch sprechen, werden an die Universität nach Kirkuk geschickt, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können. Der Erzbischof von Kirkuk bringt dann zum Beispiel die Studentinnen in kirchlichen Gebäuden unter, für die Männer mietet er für die Dauer des Studienaufenthalts günstige Hotels an.
KNA: Welche weiteren Beispiele für Hilfsaktionen der Kirche gibt es?
Fenbert: Als die Menschen nach den Angriffen des IS in der Niniveh-Ebene nach Kirkuk und Erbil flohen, wurden ihnen an kurdischen Kontrollposten die Autos abgenommen. Das bedeutete, dass sie bei rund 50 Grad Hitze 20 Kilometer zu Fuß nach Erbil oder Kirkuk laufen mussten. Viele starben dabei, vor allem ältere und kranke Menschen sowie Kinder. Sobald der Erzbischof von Kirkuk über diese Zustände informiert wurde, schickte er Pickup-Trucks mit Trinkwasser an diese Kontrollpunkte. Des Weiteren findet auf dem Markt in Mossul Menschenhandel statt. Der Erzbischof hat nach eigenen Angaben mittlerweile 60 Personen freigekauft. Der Kontakt mit den Händlern läuft im Übrigen über Muslime, die selbst den Tod riskieren, wenn sie Christen helfen.
KNA: Also gibt es auch von muslimischer Seite Unterstützung?
Fenbert: Die Kirche in Erbil und Kirkuk hilft auch den Muslimen. Daraufhin hat der oberste Führer der Schiiten, Ayatollah Ali al-Sistani, einen Pickup mit Lebensmitteln nach Kirkuk geschickt, um zu de-monstrieren: Wir helfen euch auch und wir sagen Danke für eure Hilfe. Das ist angesichts der Zustände in diesem Land ein gutes Zeichen.
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(KNA - pkmkt-89-00146)
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