Türkei erlaubt ersten Neubau seit 1923 - für orthodoxe Syrer
KNA 05.01.2015
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Istanbul/Bonn (KNA) Was anderswo auf der Welt selbstverständlich ist - hier ist es eine kleine Sensation: Erstmals seit Gründung der Türkischen Republik 1923 hat die dortige Regierung den Neubau einer christlichen Kirche genehmigt. Sie soll im Istanbuler Stadtteil Yesilköy errichtet werden, rund zwölf Kilometer westlich des Stadtzentrums, in der Nähe des Atatürk-Flughafens. Das Gotteshaus der syrisch-orthodoxen Minderheit soll auf städtischem Grund entstehen und aus Mitteln einer Stiftung finanziert werden. Schon in den kommenden Monaten soll der Grundstein liegen.
In den vergangenen Jahrzehnten waren in der Türkei nur Kirchen saniert oder wieder für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, jedoch kein Neubau genehmigt worden. Die Ankündigung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu vom Wochenende ist Teil einer allmählichen Öffnung gegenüber den Mitgliedern nichtmuslimischer Minderheiten im Land, denen er zugleich volle Rechte als Staatsbürger zusicherte. Seine Regierung unterscheide nicht nach Zugehörigkeit zu einer Religion, einer Konfession oder Ethnie.
Diese Maßnahme dürfte in zwei Richtungen zielen. Wiederholt hat sich die türkische Führung über eine wachsende Islamfeindlichkeit in Europa beklagt. Und zugleich tobt im benachbarten Syrien der Kampf mit den brutalen Terroristen des "Islamischen Staates", von denen es sich abzugrenzen gilt. Ein entschiedenes Eintreten gegen Islamophobie richte sich nicht nur gegen die Diskriminierung von Muslimen, sondern gegen jedwede Ausgrenzung aufgrund von Religion, argumentiert Davutoglu.
Die heutige Türkei zählt zu den wichtigsten Regionen des frühen Christentums. Noch bis ins 20. Jahrhundert stellten die Christen im Kernland des damaligen Osmanischen Reiches eine bedeutende Minderheit von etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Bis heute sank ihre Zahl auf geschätzt nur noch etwa 100.000 bis 150.000. Bei rund 75 Millionen Bürgern insgesamt, zu über 99 Prozent Muslime, ist das ein Anteil von unter 0,2 Prozent.
Ursachen für den drastischen Rückgang sind unter anderem die Massenmorde an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs, der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 und eine für Christen über Jahrzehnte ungünstige Religionspolitik. Die Griechisch-Orthodoxen, neben den Armeniern und den Juden die einzige offiziell anerkannte nicht-muslimische Religionsgemeinschaft der Türkei, sind in den vergangenen vier Jahrzehnten allein in Istanbul von 85.000 auf etwa 2.000 geschrumpft.
Die stärkste christliche Gruppe stellen nach wie vor die Armenier mit 50.000 bis 60.000. Das Päpstliche Jahrbuch verzeichnet rund 53.000 Katholiken, zumeist zugereiste Ausländer. Andere Quellen nennen geringere Zahlen. Zur syrisch-orthodoxe Gemeinde gehören - wie zur jüdischen - rund 20.000 Mitglieder.
Mit einigem Recht kann man behaupten, dass die Wiege der Kirche in der Türkei steht. Tatsächlich spielt sich etwa die Hälfte der Apostelgeschichte und der Apostelbriefe im westlichen Kleinasien ab. Die sieben Gemeinden der Apokalypse; die frühen Konzilien, die das Credo des christlichen Glaubens formulierten: Nizäa, Konstantinopel, Ephesus, Chalzedon - alles Orte in der heutigen Türkei. Große Kirchenväter wirkten hier, allen voran Petrus und Paulus. In Antakya, dem antiken Antiochien, nahm die christliche Mission ihren Ausgang.
Antiochien war das erste Zentrum der frühen Christen - nicht Jerusalem, wie man erwarten würde. Der mondäne römische Urlaubs- und Vergnügungsort war ein Melting Pot, Treffpunkt der Angesagten und damit auch ein Handelsplatz moderner religiöser Ideen. Die Apostelgeschichte erwähnt, dass die Anhänger Christi hier erstmals "Christen" genannt worden seien. Tatsächlich gibt es für Antiochia bis heute nicht weniger als sechs Patriarchensitze christlicher Kirchen - auch wenn die Oberhäupter sämtlich nicht mehr in Antakya, sondern in Beirut oder Damaskus residieren.
Allein im Stadtgebiet der 15-Millionen-Metropole Istanbul gibt es bis heute neben etwa 2.000 Moscheen rund 150 christliche Kirchen: armenische, griechische, katholische, syrische, anglikanische und evangelische. Die Gemeinden sind oft versteckt und abgelegen und werden nur in den seltensten Fällen auch von westlichen Touristen oder Pilgern besucht. Dass die meisten der wenigen katholischen Geistlichen in der Türkei dennoch Ausländer sind, liegt an der komplexen Rechtslage, die mit dem Vertrag von Lausanne 1923 geschaffen wurde. Gemeinden, die bereits vor diesem Stichtag existierten, werden zumeist von westlichen Ordensleuten betreut. Besonders drückend bleibt, dass die katholische Kirche offiziell noch immer nicht als juristische Person anerkannt ist. Jede Kleinigkeit, etwa ein Gasanschluss, kann für christliche Gemeinden zum Problem werden - denn dafür muss der Besitz des Gebäudes im Grundbuch eingetragen sein. Urkunden aber, die nicht auf Einzelpersonen ausgestellt sind, können nicht registrierte Institutionen nur schwerlich aufweisen - ein Teufelskreis. So gilt es immer wieder neu, taktierend und lavierend einen gangbaren Weg zu finden.
(KNA - pklkn-89-00025)
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